Die Fundus-Bücher – auch eine DDR-Geschichte

von Hildtrud Ebert

 

»Wir glaubten, wir wären die Hauptstraße entlanggegangen«, erklärte der Historiker und bekennende Marxist Eric Hobsbawn rückblickend, nach seinem frühen Engagement für den Kommunismus befragt. Dem hätte Erhard Frommhold beipflichten können, der mit Hobsbawn die Erkenntnis teilte, dass die Geschichte seine Zukunftserwartungen nicht bestätigt hat. Weniger der Glaube als die Gewissheit, dass das kapitalistische System nach zwei Weltkriegen und der Nazizeit historisch am Ende sei, trieb den jungen Mann zur Entfaltung seiner Subjektivität. Ihr Terrain wurde das Verlegen von Büchern, das Frommhold vier Jahrzehnte lang mit Leidenschaft betrieb. Als 24-Jähriger bewarb er sich 1952 beim Verlag der Kunst Dresden, wurde Lektor, Cheflektor und sein eigener Verleger. 1992 verließ er den Verlag, am demütigenden Poker der Treuhandgesellschaft um die verbliebenen menschlichen und materiellen Ressourcen wollte er nicht teilhaben.

 

Sein geistiges Rüstzeug hatte Frommhold an der Friedrich-Schiller-Universität Jena erworben, in den späten 1940er Jahren, als dort noch ein Hauch von bürgerlicher Universitas wehte und die Autonomie der Ordinarien noch ungebrochen war. Akademisch gebildet, ehrgeizig und bereit, an den geistig-moralischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft zu arbeiten, kam er nach Dresden, kein Visionär, aber überzeugt, dass Ideen die Welt verändern können. Ausgerechnet die Nazis erteilten ihm früh diese Lektion, als sie Bücher von Max Hodann, Magnus Hirschfeld, Erich Knauf, George Grosz, Frans Masereel, Diego Rivera u.a. aus der kleinen elterlichen Bibliothek konfiszierten. Die Beschlagnahmung 1933 war der Auftakt zur politischen Verfolgung der Familie. Schon aus dieser biografischen Erfahrung heraus dürfte der junge Lektor geahnt haben, welche Verwüstungen zwölf Jahre geistiger Barbarei in den Köpfen seiner Zeitgenossen hinterlassen haben. Vergessen und verschwunden war ja, was kritische Zeitgenossen, Wissenschaftler, Schriftsteller, Künstler über den Zustand der Welt einst zu Papier oder auf die Leinwand brachten. Aus persönlicher wie publizistischer Verantwortung für den deprimierenden Befund schlug Frommhold 1956 eine »Manifestation der internationalen Resistance« als repräsentatives Verlagsprojekt vor. Nach mehrjähriger Recherchearbeit rund um den Globus erschien 1968 unter dem Titel Kunst im Widerstand eine weltumspannende Dokumentation des künstlerischen antifaschistischen Widerstandes. Frommhold sei »eine übergreifende Physiognomie der Kunst des 20. Jahrhunderts« gelungen, »die auch zur Bestimmung der Gegenwartskunst unendlich viel mehr hergibt als die Katalogisierung nach formalen Progressionen«, schrieb die FAZ 1972. Mit Genugtuung wird Frommhold diese späte Rezension gelesen haben, bestätigte sie doch seine Intention von 1956, der »bürgerlichen Legendenbildung« entgegenzutreten, die versuche, »aus der modernen Kunst alle Elemente des Humanismus, der Politik, ja des Inhalts überhaupt zu eliminieren.« Man wird hinter dieser Abwehrreaktion unschwer Werner Haftmanns Modernerezeption als Auslöser erkennen. Gegen dessen erhabene »westliche« Fixierung auf das eigenschöpferische Subjekt musste und wollte Frommhold mit Kunst im Widerstand das Paradigma einer aktiven Rolle der Künste im Kontext ihrer jeweils konkreten historischen Gesellschaft setzen. Die Reaktion der östlichen Kulturbehörde auf die programmatische Konzeption des Buches fiel allerdings ernüchternd aus. Sein Herausgeber hatte ein Sakrileg begangen, hatte die in der Rhetorik der Kulturbürokratie »dekadenten« Künstler der klassischen Moderne von Joan Miró bis Max Ernst in den emanzipatorischen Kontext des antifaschistischen Widerstandes gestellt und den propagierten Determinismus von Stil und Idee ad absurdum geführt. Kurz nach Erscheinen von Kunst im Widerstand musste der Cheflektor seinen Stuhl räumen. Erst 1973 nahm Frommhold dort wieder Platz.

 

Die Absetzung kam nicht überraschend, und an Vorzeichen hat es nicht gefehlt. Schon 1953 versuchte die Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten, die einen rigiden Kampf gegen den »Formalismus« der Moderne führte, den Verlag unter ihre politische Kontrolle zu bringen und diktierte ihm die Veröffentlichung eines vulgärsoziologischen Machwerks von B.M. Nikiforow, das die Künstler der DDR auf den pathetischen Naturalismus sowjetischer Prägung einschwören sollte. Aus dieser Kommission ging im gleichen Jahr das Ministerium für Kultur hervor, das nicht minder an der ideologischen Kompatibilität der Verlagseditionen interessiert war. Schließlich und endlich geriet in der Zeit des Kalten Krieges alles zur Grundsatzfrage. Auch dem Verlag und seinem Lektor wurde sie permanent gestellt. Frommholds Antwort auf die drohende Vereinfachung ins Prinzipielle hieß Fundus-Bücher, eine Sammlung marxistischer Texte zur Ästhetik, Kunstwissenschaft und Kulturgeschichte – ein ehrgeiziges Aufklärungswerk gegen die Geschichtsvergessenheit der SED.

 

Die Reihe startete 1959 mit Ernst Fischers Von der Notwenigkeit der Kunst. Der Titel war gut gewählt, stand er doch den offiziellen Kunstparolen nicht fern. Aber im Gegensatz zu deren gebieterischer Rhetorik entwickelte Fischer seine These aus kunst- und kulturhistorischen Studien. So wollte Frommhold den Marxismus verstanden wissen: als eine Methode, Welt und Geschichte zu analysieren. Ob Frommhold strategisch dachte und hoffte, seine Fundus-Bücher könnten die Dialektik von Erkennen und Handeln in Gang setzen, sei dahingestellt. Sicher aber teilte er die Zuversicht vieler Intellektueller, verfügbares Wissen untergrabe sukzessive die Aporien des Ideologischen.

 

Ein gewaltiges Kompendium marxistischer Schriften, die in Vergessenheit geraten oder im deutschen Sprachbereich unbekannt gebliebenen waren, schwebte Frommhold vor. Die retrospektive Erschließung des marxistischen Denkens der 1920er und 1930er Jahre ist zweifellos die große Leistung der Fundus-Bücher. 125 Bände erschienen unter Frommholds Lektorat. Bereits die ersten signalisierten, dass die Internationalität der Autoren und ein breites Themenspektrum ein Markenzeichen der Reihe war. Auf den linksintellektuellen Österreicher Ernst Fischer folgte der australisch-britische Archäologe V. Gordon Childe, dem wir den Begriff der neolithischen Revolution verdanken. Der dritte Band war dem Moskauer Philosophen und »Lukácsianer« Michail Lifschitz gewidmet. Band vier machte die Leser mit den Forschungen der französischen Archäologin und Widerstandskämpferin Annette Laming zu den Ursprüngen der Kunst bekannt. Aktuelle marxistische Positionen hoffte Frommhold mit Hans Mayer und Ernst Bloch präsentieren zu können. Doch seine Bemühungen blieben erfolglos. Bloch bedauerte, kein Manuskript zu ästhetischen Themen vorlegen zu können, und überdies, so der Angefragte, würde es dem Herausgeber Schwierigkeiten bereiten, da sein philosophischer Standpunkt nicht der offiziellen Kunstbewertung entspreche.

 

Auch ohne Blochs und Mayers Namen auf der Autorenliste braute sich Anfang der 1960er Jahre ein politisches Unwetter über Frommhold zusammen. Die ersten Fundus-Bücher lagen bereits in den Buchläden, als sie ins Visier einiger Kulturpolitiker gerieten. Ihnen war Fischers Polemik gegen einen ahistorischen Realismusbegriff entgangen. Vermutlich wurden sie auch auf Ehrenburgs Einwand gegen den Missbrauch der Begriffe »Modernismus« und »Dekadenz« in den Französischen Heften erst nach der öffentlich Schmähung des Schriftstellers im Neuen Deutschland aufmerksam.

 

Der Marxist Childe spielte in der »Kaderpolitik« des Parteiapparates keine Rolle, folglich wusste man dort nicht, dass sich der Brite schon in den 1930er Jahren von der stalinistischen Sowjetunion und von der dort unter Wissenschaftlern herrschenden »Perversion des Marxismus« distanziert hatte. Auch ohne diese Entdeckung geriet Frommhold in den Verdacht, »antimarxistische« Ideen zu propagieren. Es war keine Lappalie, die da 1963 aus dem Ministerium für Kultur zur Verlagsleitung drang. Aber auch kein ungewöhnlicher Vorgang. Die jungen Funktionäre, die an ihren politischen Karrieren arbeiteten, bezogen ihre Argumente selten aus der Lektüre der Bücher, die sie ideologisch verwarfen. Das Auskundschaften »bürgerlicher Einflüsse« scheiterte oft am hohen theoretischen Anspruch der dicht bedruckten Fundus-Bücher. Es war bezeichnend für die Kränkung ihres Selbstbildes, dass die »intellektuelle Kunstliteratur« Frommholds diesem zum Makel geriet. Gefangen in der binären Logik von Inkompetenz und Intellektuellenfeindlichkeit, fürchtete die Funktionärskaste Subjektivität und Individualität als unkalkulierbare Risiken des politischen Systems. Es war ein Gebot des Machterhalts, ihre massenhafte Entfaltung zu verhindern. Auch, oder vor allem, untern den Intellektuellen in der SED, deren Mitglied Frommhold seit ihrer Gründung war. Zu Beginn der 1960er Jahre sah er sich wiederholt dem Verdacht ausgesetzt, seine Arbeit laufe der kulturpolitischen Linie der Partei »zuwider«. Für Frommholds Eigenmächtigkeit mussten die Fundus-Bücher und der 1962 erschienene Verlagsalmanach Dezennium 1 herhalten.

 

In der Tat entwickelte der Cheflektor sein Verlagsprogramm nicht analog zum kulturpolitischen Tagesgeschäft. 1959, als das erste Fundus-Buch erschien, schickte die Partei auf ihrer Kulturkonferenz in Bitterfeld die Künstler aller Sparten auf den sogenannten Bitterfelder Weg, der zu einer großen »sozialistischen deutschen Nationalkultur« führen sollte. Von den Autoren der Fundus-Bücher war kein Beitrag zu diesem Zukunftsprojekt zu erwarten, außerdem war die Reihe nicht geeignet, Anschauungsmaterial für die neue Kultur zu liefern. Im Gegensatz zum gut bebilderten Almanach Dezennium 1. Mit ihm zog Erhard Frommhold Bilanz über die ersten zehn Jahre des Dresdner Kunstverlages und entwarf mit der Auswahl der Beiträge zugleich das zukünftige Profil des Verlages.

 

Es genügt schon ein flüchtiger Blick in das Buch, um zu begreifen, wie suspekt dem Cheflektor das Nationale und Deutsche war. Hier schreiben der Schweizer Kunsthistoriker Konrad Farner über den Fotografen Helmar Lerski, die Russin Julia Lebedewa über Ikonentücher, der Amerikaner Sidney Finkelstein über den Architekten Frank Lloyd Wright, die Mexikanerin Frida Kahlo über den Maler Diego Rivera, der Deutsche Diether Schmidt über die Wandbilder Pablo Picassos und Otto Dix’. Frommhold zitiert die alte Kunstgeschichte ebenso wie er auf moderne Bildsprachen zurückgreift, stellt die realistische Tradition von Hans Grundig bis Fritz Cremer neben die malerische Noblesse eines Albert Marquet oder Georges Braque. Johannes R. Becher, Bertolt Brecht, Jean Cocteau, Else Lasker-Schüler, George Besson, Paul Eluard, Rafael Alberti und viele andere kommen zu Wort, auch Peter Huchel noch einmal, der 1962 als Chefredakteur von Sinn und Form zurücktreten musste.

 

Frommholds Plädoyer für eine universelle geistige und visuelle Kultur blendete nicht nur den nationalen Fokus aus, es nahm schlicht den ästhetischen Traditionalismus nicht zur Kenntnis, der die kunstpropagandistischen Medien beherrschte. Das Buch bürstete in der Abfolge von freier und angewandter Kunst, von alter Kunst und modernem Bauen, von traditionellen und modernen Bildtechniken, von Wort und Gestalt, von naiver und professioneller Malerei die Gattungsgeschichte der Künste erheblich gegen den Strich und rückte die unterschiedlichsten Formen ästhetischer Praxis ins Blickfeld, ohne sie in eine hierarchisierende Ordnung zu zwingen. Frommhold warf mit diesem Rekurs auf linke Avantgardestandards den Fehdehandschuh geradezu ins Ministerium für Kultur. Dort betrieb man mit politischem Nachdruck die Re-Vitalisierung des akademischen Kunstbegriffs und erwartete von einem Kunstverlag, dass er die theoretischen Mühen um die Klassifikation von Formen und Inhalten editorisch begleitet. Nur knapp entging Frommhold 1963 einer Parteistrafe, aber seine Gegner zwangen ihn, »die Kröte« Todor Pawlow zu schlucken. Per Weisung schaffte es der bulgarische Philosoph, ein orthodoxer Vertreter der Widerspiegelungstheorie, auf die Fundus-Liste. Skandalös war die öffentliche Disziplinierung nicht, sie spiegelte lediglich die Machtverhältnisse in einer Diktatur, die den Multiplikatoren ihrer weltanschaulichen Prämissen stets misstraute. Reflexartig trat im Kontrollwahn der Konstruktionsfehler des sozialistischen Staates hervor, der nichts mehr fürchtete, als den Widerspruch zwischen Verheißung und Alltag nicht beherrschen zu können. Da verwunderte es nicht, dass Frommholds linkes Insistieren auf die Verwirklichung des Selbst als »Bedingung für die Freiheit aller« als gefährliches Zündeln empfunden wurde.

 

Nicht nur inhaltliche Eingriffe in seine Publikationspläne hatte Frommhold zu akzeptieren. Auch an ökonomischen Zwängen scheiterten Wünsche. Adorno, Horkheimer oder Gadamer in der Fundus-Reihe? Mit dem Gedanke spielte ihr Herausgeber gelegentlich, aber die Suhrkamp-Lizenzen waren unerschwinglich, und so stellte sich die Frage erst gar nicht, ob die Autoren politisch durchzusetzen gewesen wären. Bei Antiono Gramsci spielte Feltrinelli nicht mit, und bei Walter Benjamin hatte der Leipziger Reclam-Verlag die Nase vorn.

 

Hingegen mussten für russische Autoren keine Lizenzen gezahlt werden, sie waren »frei«. Lifschitz, Afanasjew, Alpatow, Lichatschow, Sternin, Smirnow, Brunow, Wygotski, Gurjewitschs, Batkin und andere verdanken Fundus ihre Bekanntheit über die Grenzen ihres Landes hinaus. Viele ihrer Texte publizierte der Dresdner Verlag erstmals in deutscher Sprache. In westlichen Fachkreisen kannte kaum jemand diese Autoren. Dort interessierte man sich in den 1960er und noch in den 1970er Jahren wenig für sowjetischen Wissenschaftler. Der Ideologieverdacht stand immer im Raum. Welchen Beitrag zum Diskurs konnte eine Buchreihe liefern, die sich der »Kontinuität des marxistischen Denkens« (Frommhold) verschrieben hatte? Die Fundus-Gemeinde der DDR wusste zwischen dogmatisch und marxistisch zu unterscheiden, vor allem wusste sie, Fachwissen, Theorien und Methoden, editorisch beglaubigt, argumentativ gegen die ideologische Verflachung von Geschichtsschreibung, Kunst und Kultur zu wenden. Willkommen für ihre subversiven Strategien waren Ehrenburgs Polemik gegen Begriffe, »die verhindern, Malerei zu sehen«, oder die geistreichen Reflexionen des polnischen Kunsthistorikers Jan Bia_astocki über C.G. Jungs »Archetypus«. Und Gurjewitschs Verweis auf einen sehr »wahren und tiefgründigen Gedanken« Leopold von Rankes in seinem Weltbild des mittelalterlichen Menschen erschütterte geradezu die oktroyierte Vorbildrolle der »Sowjetwissenschaft«, ebenso Leonid Batkins Abrechnung mit der »Illusion des Allesverstehens« in seinen Studien über die italienische Renaissance. Später schrieb Batkin, den die Berliner Humboldt-Universität im Herbst 2009 als einen der »eindrucksvollsten Intellektuellen Russlands« zu Gastvorträgen eingeladen hat, zusammen mit Andrej Sacharow selbst Geschichte, die Reformgeschichte der Sowjetunion.

 

Fundus-Bücher versammeln eine Vielfalt an Anschauungen. Sie ist das Verdienst eines Mannes, der vom marxistischen Denken sprach, ohne es in Traditionslinien oder ins Prokrustesbett abrufbarer Kategorien pressen zu wollen. Frommholds Abneigung gegen vorgefasste Begriffssysteme saß tief. Wohin ihre intendierten Ein- und Ausgrenzungen führen können, hat ihm die Freund-Feind Logik des Kalten Krieges vor Augen geführt. Frommhold wollte die Welt als etwas Unabgeschlossenes sehen, als ein offenes Feld des Gedanklichen und Sinnlichen. Fundus widerspiegelt daher zunächst seine ganz persönliche, intellektuelle und visuelle Freude an Entdeckungen. Ihr Impuls freilich rührte auch aus dem ethischen Verlangen, die kreativen Potenziale der eigenen Geschichte nicht dem Pragmatismus der Politik zu opfern. Mit Max Raphael, Lu Märten, Rosa Luxemburg, El Lissitzky, John Heartfield oder Hannes Meyer ließ sich Quellenerschließung auch als Kommentar gegen eine dogmatische Interpretation linker Tradition lesen. Sollte sich die Forschung einmal für den sowjetrussischen Volkskommissar Anatoli Lunatscharski interessieren, sie käme an seinen drei Fundus-Büchern nicht vorbei. Skeptisch registrierte die Kulturverwaltung die Veröffentlichung der Texte, noch unentschlossen, wie Lunatscharski Rolle in der Revolution zu bewerten sei. Frommhold wusste, dass jede verlegerische Initiative an politischen Empfindsamkeiten und unliebsamen Namen oder Biografien scheitern konnte. Prophylaktisch richtete daher die obligatorische Rubrik »Der Autor« im Anhang der Fundus-Bücher den Fokus auf die publizistische Tätigkeit. So findet man dort keine Hinweise auf die Reglementierungen, denen die meist jüdischen Autoren aus der Sowjetunion ausgesetzt waren. Prominent auch das Beispiel des ungarischen Philosophen Georg Lukács, dessen Verdammung und Rehabilitierung sich in die Fundus-Reihe linear eingeschrieben hat. Als Mitglied des aufrührerischen Budapester Petöfi-Klubs fiel er 1956 in Ungnade, und es dauerte Jahrzehnte, bis ihm die SED-Führung sein Engagement für die Nagy-Regierung verzieh. Zusammen mit Michail Lifschitz arbeitete Lukács in den 1930er Jahren in Moskau an den Grundlagen einer marxistischen Ästhetik. Von der Geistverwandtschaft und Freundschaft der beiden Philosophen verraten die Lifschitz-Bände von 1967 und 1971 jedoch nichts. Noch 1975 verschweigt das Personenregister in Frederick Antals Zwischen Renaissance und Romantik den Namen. Antal gehörte zusammen mit Arnold Hauser zum Budapester Sonntagskreis um Lukács und Béla Balázs. Wie eine späte Gutmachung nahm sich daher die Wiedergabe eines Briefes von Lukács an Lifschitz auf dem Cover der Ausgewählten Schriften aus, dem dritten Fundus-Buch des russischen Marxisten. Als es 1988 erschien, war Lukács schon rehabilitiert. Auch auf Hausers Sozialgeschichte der Kunst und Literatur prangte wieder der Name des Ungarn. In zwei Bänden brachte der Verlag 1987 Hausers Opus Magnum heraus, zu spät, um in der hiesigen Fachwelt noch als Überraschung zu gelten, ebenso wie Heinrich Wölfflins 1984 als Fundus-Doppelband publizierte Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. Die Zeit der Entdeckungen war vorbei. In den 1970er Jahren etablierte sich in der Bundesrepublik eine kunst- und kultursoziologische Forschung, die ohne Denkverbote die Erschließung »linker« Quellen vorantrieb. Auch in der DDR fielen in den Siebzigern einige Tabus aus der Hochzeit des Kalten Krieges. Ulbrichts Nachfolger wünschte sich ein modernes Image des sozialistischen deutschen Staates, das Image eines souveränen und selbstbewussten Landes, das sich im ideologischen Wettkampf mit dem anderen Deutschland zu behaupten weiß. Aus der Frage »Wem gehört die Geschichte?« sollte jetzt kulturelles Kapital geschlagen werden. Sie eröffnete Denkräume für eine Re-Vision der aufklärerischen Kultur der Moderne des 20. Jahrhunderts.

 

Für Frommhold waren die existenziellen Konflikte ausgestanden. Fundus blieb eine solide Publikationsreihe mit kulturhistorischen Epochenbildern, mit Künstlerdokumenten, mit Texten zur Kulturtheorie, zur Architektur und zum Städtebau. In aktuelle Debatten griffen Fundus-Bücher kaum noch ein. Frommhold bearbeitete weiter das historische Feld und er hatte gute Gründe dafür. An den Fachinstituten des Landes oder im Künstlerverband stritt und rang man zwar intern um die Ausweitung des weltanschaulich-philosophischen Terrains, aber unorthodoxe Theorie- oder Interpretationsangebote drangen in der Regel nur über informelle Kanäle in die Öffentlichkeit. Mit kontinuierlichem Produktionsnachschub für eine theoretisch orientierte Schriftenreihe konnte Frommhold folglich nicht rechnen. Nur einige Autoren griffen aktuelle gesellschaftliche Themen auf: Claude Schnaidt, Lothar Kühne und Bruno Flierl mit ihren Reflexionen zu Architektur, Städtebau und Gestaltung. Und nach wie vor war Frommhold der Weg verschlossen, das Profil der Reihe durch den Ankauf von Lizenzen zu modernisieren. Ohne latenten Devisenmangel hätte er sich vermutlich um Hannah Arendt, Maurice Merleau-Ponty, Peter Burke und Susan Sontag bemüht. Hingegen gehörten die Poststrukturalisten, die großen Dekonstrukteure seines Weltbildes, nicht zu seiner bevorzugten Lektüre. Für sie, denen die Utopien abhanden gekommen waren, mochte er nicht kämpfen, denn sein Urvertrauen zur »gutseinkönnenden Sache«, wie Bloch das linke Geschichtsprojekt in Prinzip Hoffnung umschrieb, verlor Frommhold nie. Im Glauben an eine endgültige Versöhnung von Individualität und sozialem Ganzen blieb er Marxist – und ein Linker, der Loyalität nicht mit Widerspruchslosigkeit übersetzte.