Margit Berner, Anette Hoffmann, Britta Lange
Sensible Sammlungen
Aus dem anthropologischen Depot

»Sensible Objekte« in musealen Sammlungen werden seit den achtziger Jahren als »menschliche Überreste« und »Gegenstände von religiöser Bedeutung« definiert. Dabei sind nicht nur die Gegenstände selbst »sensibel«, sondern auch und vor allem die Umstände ihrer Herstellung und Beschaffung. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert reisten europäische Forscher in die kolonialisierten Teile der Welt. Sie sammelten Anthropologica – Knochen, Haarproben und Präparate – und Ethnografica – Gegenstände aus der materiellen Kultur – von Angehörigen der dort lebenden sogenannten »aussterbenden Völker« und brachten sie in wissenschaftliche Sammlungen und Museen in Europa. Unter ähnlichen ethnografischen Fragstellungen und Sammlungsinteressen richtete sich der Blick aber auch auf in Europa lebende Bevölkerungsgruppen. Bei ihren Forschungen innerhalb und außerhalb Europas produzierten Wissenschaftler und Sammler Messdaten, Körperbeschreibungen, Zeichnungen, Fotografien, Gipsabgüsse, Filme und Tonaufnahmen von lebenden Menschen. Diese Zeugnisse wurden mithilfe handwerklicher und technischer Verfahren von ihren Körpern abgenommen. Sie entstanden oftmals in für die Erforschten prekären Situationen wie in Gefängnissen, Polizeistationen oder militärischen Einrichtungen und sind von kolonialen Herrschaftsstrukturen und der Definitionsmacht von Wissenschaftlern und Behörden geprägt.

In diesem Buch wird die Geschichte solcher Sammlungsbestände in ihrem spezifischen kulturhistorischen Kontext an einer Reihe von Beispielen entlang erzählt. Mit Gipsabdrücken und Tondokumenten geraten dabei vor allem bisher weniger untersuchte Objekte als Bestandteile »sensibler Sammlungen« in den Blick.

 

ilinx-Kollaborationen, herausgegeben von der Redaktion ilinx

 

Margit Berner, 1961 geboren, ist Kuratorin der Abguss-Sammlung an der Anthropologischen Abteilung des Naturhistorischen Museums in Wien. Forschungsschwerpunkte und Publikationen im Bereich Physische Anthropologie und Geschichte der Anthropologie.

 

Anette Hoffmann, 1965 geboren, hat Afrikanistik studiert und an der Amsterdam School for Cultural Analysis promoviert. Sie arbeitet an der University of Fort Hare in Südafrika.

 

Britta Lange, 1973 geboren, hat Kunstgeschichte, Kultur- und Medienwissenschaften studiert und über Ethnografica-Händler aus Hamburg promoviert. Sie arbeitet am Institut für Kulturwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin.

 

PRESSESTIMMEN

 

»Viele völkerkundliche Museen haben Gipsmasken, Tonaufnahmen, Fotografien und Messdaten in ihren Archiven. Darunter sind auch Körperteile von Menschen - wie Knochen oder Schädel -, die eigentlich bestattet werden sollten. Sie alle fallen in die Kategorie der "sensiblen Sammlungen", mit denen sich Anette Hoffmann, Britta Lange und Margit Berner in einem gerade erschienenen Buch befassen: Es zeigt, wie diese Sammlungen zustanden kamen und wie mit ihnen umgegangen wurde.«

Anne Reinert, taz nord

 

* * *

 

»"Sensible Sammlungen" beleuchtet die Umstände, unter denen Gegenstände, die heute als "sensibel" bezeichnet werden, im 19. und 20. Jahrhundert beschafft wurden. Dies ermöglicht einen umfassenden, interessanten und sehr informativen Blick auf die problematische Geschichte der Anthropologie und zeigt, wie mensch produktiv mit dieser umgehen kann, ohne dabei alte Rassismen zu reproduzieren. Das Wissen über Verbrechen im Dienste der (angeblichen) Wissenschaft ermöglicht außerdem, kritisch zu hinterfragen, wie noch heutzutage mit dem vermeintlich "Fremden" umgegangen wird.«

Annika Hüttmann, AVIVA Berlin

 

* * *

 

»Einen unrühmlichen Höhepunkt erreichte diese Form der Forschung mit der Rassenideologie der Nazis. Margit Berner hat gemeinsam mit Kollegen alte Bestände von Anthropologica erforscht. Dabei stellten sie fest, dass die damals untersuchten Menschen sich den europäischen Forschern unter Zwang zur Verfügung stellen mussten und dabei unter Todesängsten litten.«

DRadio Wissen

 

* * *

 

»Die drei Autorinnen des neuen Bandes – eine Humanbiologin, eine Afrikanistin und eine Kulturwissenschaftlerin – benennen nach gründlicher Forschung zahlreiche Ausstellungsstücke, die in den hintersten Winkeln der Museumsdepots versteckt lagen und liegen. (...) Gemäß der damals herrschenden Doktrin der »rassischen Überlegenheit« der Europäer galten alle anderen Völker als beinahe ausgestorben, und man beeilte sich, im Rahmen einer „Rettungsethnologie“ noch Exponate für die Museen zusammenzutragen – egal wie.«

Gerd Bedszent, Junge Welt

 

* * *

 

»Ihr Vorhaben verfolgen die Autorinnen auf spannende und hervorragend recherchierte Weise. Die Publikation, ein kleines Sammelbändchen nur, führt zügig und präzise in das Thema ein und kann als Anregung verstanden werden, sich mit den andernorts dokumentierten Forschungen und Projekten der drei Autorinnen auseinander zu setzen.

(...)

Alles Schnee von gestern? Im Gegenteil: Der Band macht deutlich, dass das Thema bis in unsere unmittelbare Gegenwart heranreicht, gab es doch bis 1996 einen "Rassensaal" im Wiener Naturhistorischen Museum. Eine sehr große Anzahl von Museen in der westlichen Welt muss sich mit dem prekären Erbe der Sammelleidenschaft vergangener Generationen auseinandersetzen, wobei ihnen die Sensibilität zu wünschen ist, die die drei Autorinnen des vorliegenden Bandes an den Tag legen.

(...)

Die Publikation ist ein gelungener Band, der relativ klein und bescheiden daher kommt, aber hochwertig erarbeitet und stimmig zusammengestellt ist.«

Sibylle H. Kußmaul, sehepunkte – Rezensionsjournal für die Geschichtswissenschaften

 

 

 

 

 

Margit Berner, Anette Hoffmann, Britta Lange
Sensible Sammlungen
Aus dem anthropologischen Depot

FUNDUS Band 210

ilinx-Kollaborationen, herausgegeben

von der Redaktion ilinx

280 Seiten, Abbildungen

gebunden mit Lesebändchen

ISBN: 978-3-86572-677-3
€ 14,00
In den Warenkorb legen